Gülten Akın
Herbst
Es ist Herbst. Meine Augen trüb. Ich bin blind.
Es ist Herbst. Der lässt mein Haar ausfallen.
Ich komme von der Alm, sagen sie, von hinter dem Meer
bergab, bergauf, meine Knie haben es ertragen."
Über den Fluss fliegt ein Lied mein Liebster
Der Kampf ist vorbei. Häng das Gewehr an die Wand
der Herd übernimmt nun das Zepter. Geh in den Wald
hol die Axt aus der Ecke, gib den Kindern einen Kuss.
Im Tal lassen sie Drachen steigen, der Wind ist gut.
die Kinder im Tal können lesen. Ich bin blind
wie gut riechen ihre Zeitungen, ihre Bücher
auch ich könnte sie riechen, wenn ich ins Tal abstiege
Ich bin an diesen Ort gebunden Liebster
Bin mit dreißig Jahren alt und blind
Nimm die Kinder und führ sie hinunter,
Sollen sie doch alles sehen, das wünsch ich mir
Es ist Herbst, du hast nichts Warmes, Allerliebster
und ich? Bin blind. Weiß nichts von der Welt jenseits des Flusses
weiß nur, dass die Kartoffeln aus der harten Arbeit des Sommers
nichtmal ein Stück Wollstoff für dich bescheren werden
Frag dort nach, sind wir als Lebende registriert?
Ich bin blind, verbraucht sind wir beide. Lass die Kinder eintragen
Bring die Kartoffeln zum Verkäufer, für die paar Groschen
steig auf den Esel und sing bei deiner Rückkehr ein Lied.
Für die irdischen Dinge braucht man irdisches Geld
hast ja fünfundzwanzig Groschen vom Boden gekratzt
kauf ein Leichentuch, vergiss den Seifenquast nicht
und zahl beim Hodscha unsere Bestellung fürs Paradies
In diesem Herbst werde ich sterben. Meine Arbeit ist getan.
Hab mich im Fluss gewaschen, hab auf den Nussbaum die Vögel verscheucht
Wurde entführt, hab zwölf Kinder geboren und wie meine Augäpfel bewacht
Einen Jungen verheiratet, ein Mädchen verloren. Die Dreißg hab ich erreicht.
Sag nicht "weine nicht Mädchen", das kränkt mich, Herzallerliebster
?ch weine nicht, sollen die Berge sollen die Steine weinen
Blind bin ich, abgemagert, verwelkt, krank.
wo sind die Schuldigen zu finden,
Sollen die Vögel weinen an Stelle der Menschen.
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